Zwei starke Frauen zum Jahresauftakt

Text: André Weißbach

Im ersten Jour Fixe des neuen Jahres standen gleich zwei starke Frauen im Mittelpunkt des Interesses der zahlreich erschienenen Mitglieder: Cosima Wagner und > Sabine Zurmühl. Denn Sabine Zurmühl ist eine ganz starke Frau. Sie engagierte sich früh in der Frauenbewegung, gründete in den 1970er Jahren die Zeitschrift Courage mit und setzte sich als Autorin, Publizistin und Mediatorin in einer dominanten Männergesellschaft durch. Als Opernkritikerin berichtete sie u.a. für die taz von den Bayreuther Festspielen.

Sabine Zurmühl liest aus „Cosima Wagner. Ein widersprüchliches Leben“ – Foto: Christoph Jenisch

Dass die Geschichte der Bayreuther Festspiele auch eine Geschichte starker Frauen ist, ist sogar unseren Bayreuth-Stipendiaten aufgefallen, die uns dazu vor einiger Zeit mit einem Impulsvortrag bereicherten. Die einflussreichste Frau auf dem Grünen Hügel war ganz sicher Cosima Wagner, der sich Sabine Zurmühl in ihrem 2022 erschienenen Buch Cosima Wagner – Ein widersprüchliches Leben annäherte. Und das in 33 Skizzen oder – wie die Biografin es nennt – in „Punkten der Aufmerksamkeit“, aus denen sie im Jour Fixe auszugsweise vorlas und ein viel differenzierteres Cosima-Bild vermittelt.

Die zweite Ehefrau Richard Wagners war sehr lange die „rechte Hand“ des Komponisten und übernahm nach dessen Tod für über 20 Jahre die Leitung der Bayreuther Festspiele. Sie war es, die den Familienbetrieb organisatorisch und finanziell stabilisierte. Ja, dank des weltweiten Erfolges der Werke Richard Wagners und der Bayreuther Festspiele wurde Cosima sogar zu einer der wohlhabendsten Frauen im Lande. Doch trotz alledem landet man am Ende stets in einer der vielen Klischee-Schubladen: Cosima – die sich unterwerfend Liebende, die konservative, starrsinnige und ewig gestrige „Gralshüterin“, die Antisemitin und Rassistin, die tagebuchführende Managerin und Festspielleiterin, Mutter von fünf Kindern (davon drei von Richard Wagner).

Sabine Zurmühl sind diese Klischees „zu negativ; so einseitig und verbiestert kann das alles nicht gewesen sein“. Auch der Bezug allein auf ihre Ehemänner Hans von Bülow und Richard Wagner ist ihr zu kurz gegriffen, da Cosima ihr Leben schließlich die meiste Zeit ohne die beiden verbrachte – immerhin wurde sie 92 Jahre alt und überlebte Richard um fast 50 Jahre.

In einem bedrückenden Kapitel lotet Sabine Zurmühl Cosimas Herkunft aus. Adlig zwar und in gut situierten Verhältnissen in Paris aufgewachsen, entwickelt sich keine Beziehung zum berühmten Vater, der sich ganz seiner Karriere widmet. Franz Liszt wird seine Tochter fast acht Jahre lang nicht einmal besuchen und verbietet ihr sogar den Kontakt zur Mutter. Erst mit 16 Jahren sieht sie in wieder und begegnet bei einer von ihm veranstalteten Soiree neben Hector Berlioz auch erstmals Richard Wagner. Letzterer urteilt über die junge Frau: „Der Feind ihrer Gesundheit ist ihr Temperament, sie ist ein wildes Kind“. Beide sollten sich schließlich ineinander verlieben und nach der Auflösung komplizierter Verhältnisse – Cosima ist mit dem Wagner ergebenen Dirigenten Hans von Bülow verheiratet und beide haben zwei Kinder – in zunächst wilder Ehe zusammenkommen.

In einem spannenden Kapitel zeigt Sabine Zurmühl die Schwierigkeiten auf, die sich aus der unterschiedlichen sozialen Herkunft von Richard und Cosima ergeben, aber auch aus der unterschiedlichen Bewertung durch die Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Hier die gut erzogene, ausgebildete, sprachgewandte und wohlhabende Adlige, die nie Not gelitten hat und aus einer Jahrhunderte alten Familie stammt. Dort der unsichere, von Existenzängsten geplagte Komponist mit dem „Fluch, ohne Vermögen geboren zu sein“. Hier die Ehebrecherin und Konkubine (als „Cosima fan tutte“ bezeichnet sie das Satiremagazin Kladderadatsch). Dort der geniale Mann, der sich nimmt, was er meint, zu verdienen.

Woher Cosimas ausgeprägter Antisemitismus und Rassismus kommt, ist nicht ganz klar. Nachgewiesen sind ihre drastischen, abwertenden, überheblichen und ironisch überlegenen Äußerungen gegenüber Menschen jüdischen Glaubens zahlreich. Andererseits war ihre Meinung zur Neuveröffentlichung von Wagners unsäglicher Schmähschrift Das Judenthum in der Musik unentschieden – sie äußerte sich über den Inhalt der Publikation weder zustimmend noch ablehnend. Und in einer privaten Notiz zur Tristan-Musik zeigt sie sogar liberale Tendenzen: „Tristan ist die Musik für die Auflösung aller Schranken und aller Rassen“.

In einem starken Kapitel beschreibt Sabine Zurmühl schließlich den Aufstieg zur Festspielleiterin nach Richard Wagners Tod. Zum ersten Mal nach der Gründung der Neuber’schen Komödiantengesellschaft durch Friederike Caroline Neuber im Jahr 1727, wird ein Theater wieder durch eine Frau geleitet. Und wie! Cosima stabilisierte den Betrieb, formte den noch heute gültigen Bayreuther Kanon, inszenierte die Aufführungen (den Beruf des Regisseurs gab es damals noch gar nicht), veränderte die Probenbedingungen und führte technische Neuerungen ein. Und sie griff ab 1898 in die „heilige“ Original-Inszenierung des Uraufführungs-Parsifal von 1882 ein und war – entgegen der heute bestehenden Meinung – offen für Veränderungen, sofern sie „einleuchtend“ waren. Sie entwickelte Führungsqualitäten und verteilte Anregungen und Anerkennungen gleichermaßen.

Gedankt hat es ihr die Öffentlichkeit nicht, für die sich Cosimas Autorität nur aus dem Genie ihres Ehemannes ableitete und dessen Erbe sie einzig zu bewahren hatte. Man kann nur ahnen, was so ein Spannungsfeld von Verantwortung und Kritik, eigener Schuldgefühle und Kränkungen anderer, Leiden und Leidenschaft, Spott und Herabsetzung in der Öffentlichkeit mit einem Menschen macht.

Nach der einstündigen Lesung schloss eine muntere Fragerunde sowie ein anschließendes Get-together bei Brezeln und Wein die gelungene Veranstaltung ab. Ein starker Jahresauftakt!

Mehr zum Buch auf der Verlags-Homepage > hier